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Schottlands Nationalisten
"Ich bin so angewidert von Labour"

Die Schottische Nationalpartei erlebt derzeit ein Hoch: Die Mitgliederzahl vervierfachte sich auf 100.000 und bei den Unterhauswahlen könnten die Nationalisten für ein Desaster der Labour-Partei sorgen. Ohne SNP-Duldung hätte Labour-Chef Ed Miliband keine Chance, Premierminister zu werden.

Von Jochen Spengler | 29.04.2015
    Mary Russell, Ex-Labour-Mitglied
    Mary Russell, Ex-Labour-Mitglied (Deutschlandradio / Jochen Spengler)
    Labour droht eine historische Niederlage – bis hin zum völligen Bedeutungsverlust in Schottland. 50 von 59 Sitzen für die SNP signalisieren die Meinungsforscher und die Zufallsumfrage in Glasgows frühlingswarmer Fußgängerzone bestätigt sie:
    "SNP, weil die hier ausgezeichnet regiert haben - Weil ich mehr Rechte für Schottland will - Ich wähle erstmals SNP, weil Labour und Ed Miliband nicht mit ihr zusammenarbeiten wollen."
    Maryhill im Glasgower Nordwesten. Eine Mittelstandsgegend mit bescheidenen Reihenhäusern. Zwei kleine Terrier kläffen aufgeregt, Rentner Ronnie begrüßt und führt uns ins Wohnzimmer, wo Mary, seine Frau schwer in einem Sessel sitzt. Schon ihre Eltern waren wie sie selbst treue Mitglieder der Labour-Partei. Der Bruch kam beim Streit um die Unabhängigkeit.
    "Ich sah, wie sie so viele Lügen verbreiteten, dass ich gar nicht mehr damit leben konnte, Labour-Mitglied zu sein. Ich bin ausgetreten und nach dem Referendum bin ich in die SNP eingetreten."
    Gatte Ronnie serviert Tee und Biskuits, während die 79-Jährige schwer atmend erzählt.
    "Ich bin so angewidert von Labour. Die betrachten Schottland als Problem. Wir wollen doch nur in Ruhe gelassen werden, auf eigenen Füßen stehen, die Trident-Atomraketen loswerden und David Cameron."
    Bei den Wahlen werde es eine große Erschütterung geben, die Schotten seien entschlossen und würden sich nicht noch einmal einschüchtern lassen.
    Heute ist Schottland entscheidend für die Unterhauswahl
    Viele Schotten haben nach dem verlorenen Unabhängigkeitsreferendum nicht resigniert, sondern sind wie Mary in die SNP eingetreten. Während die Labour-Partei ihre Mitgliederstärke erst gar nicht bekannt gibt, sonnen sich die Separatisten in der Vervierfachung ihrer Zahlen. Mehr als 100.000 sind sie nun. Das sei gewaltig und würde man die Zahl auf den Rest Großbritanniens hochrechnen, entspräche die SNP einer Partei von 1,5 Millionen Mitgliedern, rechnet Gerry Hassan vor. Der Uni-Dozent erklärt:
    "Schottische Wähler wollen keine konservative Regierung. Was sich aber geändert hat, ist, dass sie heute glauben, eine bessere Labour-Regierung zu bekommen, wenn sie SNP wählen."
    Zumal die SNP im traditionellen Jagdgebiet von Labour wildere, sie links zu überholen versuche und dabei nationale und sozialdemokratische Strömungen vereine. Außerdem reize die Schotten noch etwas anderes, sagt der bekannte Blogger, der selbst lange Jahre Labour-Mitglied war. Früher hätte sich bei Unterhauswahlen niemand für Schottland interessiert, weil es selbstverständlich war, dass Labour auch ganz ohne Anstrengung und Wahlkampf im Norden abräumte. Vorbei.
    "Wir mögen es, dass es so viel Medienaufmerksamkeit für uns gibt und wir der mögliche Königsmacher sind. Die Leute lieben die Idee, das britische politische Establishment aufzuschrecken und Macht zu spüren. Schottland genießt, dass über es geredet wird. Das ist doch nicht sehr überraschend."
    Je mehr allerdings die SNP von englischen Medien und Politikern als Untergang Großbritanniens verteufelt werde, desto trotziger würden die Schotten reagieren und Richtung Unabhängigkeit getrieben.
    "Ich heiße Davina, bin in den 80ern in Schottland aufgewachsen, als es hoch herging zwischen Konservativen und Labour. Ich bin groß geworden damit, Margaret Thatcher schon als kleines Kind zu hassen, und wir haben unser ganzes Leben lang Labour gewählt."
    Doch der alte Konflikt Labour oder Tories ist heute einem neuen gewichen: Unabhängigkeit oder Union? In einer Woche wird auch Davina, die Jura-Studentin, die wir in einem Glasgower Biergarten treffen, für die SNP stimmen. Seit dem Referendum ist sie Partei-Mitglied.
    "Es war wie Trotz. Nach dem Nein wollte ich Loyalität zeigen für die Partei, die uns das Referendum gebracht hat, niemand anderes hätte es uns gegeben. Und jetzt denke ich: SNP, bis es die Unabhängigkeit gibt und Labour hat keine Chance mehr. Es macht doch keinen Unterschied ob Cameron oder Miliband regiert, das ist fast dasselbe und jeder weiß es."